Zurück zum Flow, oder: Was tun bei Angst und Stress?
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Wusstest du, dass hinter bis zu 75 Prozent aller Arztbesuche Stress steht und dieser ein größerer Risikofaktor für die Gesundheit darzustellen scheint als Rauchen?
Und dass es Menschen gibt, die Stress einfach an sich abprallen lassen und andere, die bei den geringsten Anforderungen umknicken?
Woran liegt das?
Meine Beobachtung ist: Bei der zweiten Gruppe arbeiten das emotionale Gehirn und der Neokortex nicht, wie bei der ersten wie ein gutes Team zusammen, sondern das emotionale Gehirn hat die Führung übernommen.
Was ist das emotionale Gehirn? Nun: Im Inneren unseres Gehirns befindet sich ein „Gehirn im Gehirn“ (David-Servan Schreiber). Seine Eigenschaften unterscheiden sich stark vom Neokortex, der Großhirnrinde, von der aus die Sprache und das Denken gesteuert werden.
Das emotionale Gehirn regelt hingegen dein psychisches Wohlbefinden, inklusive die dazugehörigen Körperfunktionen: Herz, Blutdruck, die Hormone, Verdauung sowie das Immunsystem.
In der Tat funktioniert das emotionale Gehirn sehr häufig unabhängig vom Neokortex, d. h. Sprache, die unmittelbare Sinneswahrnehmung und das Erkennen Dessen, was gerade wirklich geschieht, haben nur einen begrenzten Einfluss darauf.
Man könnte auch grob sagen, dass der Neokortex für das bewusste, in gewisser Weise auch kontrollierte und geplante Denken und Handeln zuständig ist, wohingegen das emotionale Gehirn unsere emotionalen, instinktiven Überlebensreaktionen übernimmt.
Wenn es also auch nur im Geringsten Gefahr wahrnimmt, ob echt oder gedacht, reagiert es mit Ausschüttung von Adrenalin und einer Anspannung der Muskeln etc., ohne auf eine Verifizierung des Neokortex zu warten, der dann erst einmal außer Gefecht ist, auch wenn du danach, nachdem du zwei Atemzüge genommen hast, feststellst, dass die Gefahr nur eingebildet war.
In anderen Worten: Du kannst deiner Angst nicht einfach befehlen zu verschwinden, größer oder kleiner zu werden, so wie man aufhört zu sprechen oder zu denken. Angst oder Stress haben ihren Sitz im emotionalen Gehirn und sind der direkten, bewussten Steuerung durch den Neokortex nur zugänglich, wenn beide Hand in Hand arbeiten.
Im emotionalen Gehirn sind auch „alte“ Gefahren, schmerzliche Ereignisse der Vergangenheit gespeichert, auf die es bei dem geringsten Auslöser (ein an die alte Situation erinnerndes Gefühl, ein Gedanke oder Geruch, eine Bewegung, Geste, ein bestimmter Klang etc.) reagiert als sei die Gefahr real.
Wenn du also Stress oder Angst erlebst, hat sich das emotionale Gehirn vom klaren Feedback direkter Wahrnehmung der Gegenwart und seiner Fähigkeit zur emotionalen wie Impulskontrolle abgeseilt und sorgt dafür, dass du dich wieder wie ein kleines, traumatisiertes Kind verhälst bzw. ein Trauma, das du als Erwachsener erlebt hast, immer wieder re-inszenierst.
Du lebst gewissermaßen in der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart, und erlebst die alte Situation neu – und das immer wieder.
Dies und das Zunehmen von Stress und Ängsten kann langfristig dazu führen, dass das emotionale Gehirn mehr und mehr die Führung übernimmt und die “bewusste Bremse”, der Neokortex, ebenso wie sein Feedback aus der Gegenwart, kaum noch genutzt werden.
Das ist Stress pur!
Im schlimmsten Fall führt das zu einer Retraumatisierung, einem Burnout, Herzinfarkt bzw. einem Nervenzusammenbruch - denn die bewusste, situations- und körpergemäße Impulskontrolle wird für unser seelisches und körperliches Wohlbefinden unbedingt gebraucht!
Denn kein Mensch kann ständig im Überlebensmodus leben.
Meine Aufgabe als Heilpraktikerin in Psychotherapie ist es deshalb, dem Gehirn zu ermöglichen, diese eingekapselten, schmerzhaften Erfahrungen zu verarbeiten, neu zu integrieren und damit die Kooperation zwischen bewusstem Denken und unmittelbarer Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments und dem emotionalen Gehirn wieder zu ermöglichen, d. h. das wieder herzustellen, was man häufig als „Flow“, “Im-Einklang-sein” oder wissenschaftlich “Kohärenz” bezeichnet.
Denn erst in diesem sehr natürlichen Zustand bist du im Vollbesitz deiner geistigen, emotionalen und körperlichen Fähigkeiten sowie in tiefer Verbindung zu Allem und Nichts. Das Gehirn ist ideal durchblutet, das Herz fühlt sich wohl und entspannt, und wie von Zauberhand kommen dir spontane Lösungen, die mit Dem, was um dich herum geschieht, wie selbstverständlich korrespondieren.
Klingt doch gut, oder?
Aber wie macht man das nun? Kann man das überhaupt “machen”?
Das Erstaunliche ist, dass das wirklich unglaublich einfach ist, wenn man erst einmal weiß, wie.
Man muss dabei nur wissen, dass das emotionale Gehirn eine sehr enge Beziehung mit dem Körper und den Gefühlen hat, die in ihm erscheinen. Das heißt: Du kannst mit ihm nicht über das Denken oder Sprache kommunizieren, weshalb noch so intensive, interessante ja jahrelange therapeutische Gespräche über Traumata oder schmerzliche Gefühle in der Vergangenheit, wie sie häufig in der Psychoanalyse praktiziert werden, wenig hilfreich sind, ja, sogar eine Retraumatisierung auslösen können.
Das emotionale Gehirn reagiert vielmehr auf unmittelbaren Kontakt mit dem Körper, Körperwahrnehmung, -Berührung, Bewegung, Atmung, Augenbewegungen, den bewussten Kontakt zum Herzen etc. und kommuniziert mit dir über die Gefühle.
Und so kann man mit ihm auch Kontakt aufnehmen – über den Körper und die Gefühle, bzw. indem man durch die bewusste Wahrnehmung und das bewusste Kontaktaufnehmen mit dem Körper - die Betonung liegt auf “bewusst” - eine Verbindung zwischen dem emotionalen Gehirn und dem Neokortex herstellt.
Um es anschaulicher zu machen: Mich rief kürzlich eine Klientin an, die mir erzählte, dass sie seit 15 Jahren versuchte, mithilfe von unzähligen Traumatherapeuten und einem Aufenthalt in einer darauf spezialisierten Klinik ihre Probleme zu lösen und meinte, sie sei nur noch frustriert, da ihre Schlafstörungen, Ängste und inneren Spannungen immer mehr zugenommen hatten.
Ich machte mit ihr eine einzige schlichte Atemübung am Telefon, in deren Verlauf sie sich entspannte und mir danach berichtete, dass sie nach der Sitzung spontan eingeschlafen sei – was sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr kannte – und es am darauffolgenden Tag wieder wagte, sich ihrem Partner körperlich anzunähern - ein für sie wohl ebenso erstaunliches Ereignis.
Dabei hat sie natürlich noch nicht ihre traumatischen Erfahrungen verarbeitet und integriert, aber die idealen Bedingungen dafür geschaffen.
Ähnlich überraschend war und ist für mich die Arbeit mit EMDR, ein Verfahren zur Desensibilisierung und Wiederherstellung bei Traumata mittels der Augenbewegungen, in der die Fähigkeit des Körpers, Erfahrungen in kürzester Zeit, inhaltlich wie emotional zu verarbeiten, genutzt wird. Er tut dies nämlich jede Nacht in der sogenannten REM-Phase (Rapid Eye Movements), die sich durch schnelle Augenbewegungen auszeichnet.
Ja, häufig kann die emotionale Ladung eines Traumas innerhalb einer einzigen EMDR-Sitzung „entladen“ werden.
Ähnlich gute Erfahrungen habe ich mit Körpersatsang, Akupressur, EFT (Emotional Freedom Technique) oder Stille-Meditation gemacht, alles Methoden, die die emotionale Entkoppelung und Entspannung fördern, die Aufmerksamkeit wieder in den Moment und im Falle der Stille-Meditation in die tiefe Verbindung mit Allem und Nichts zurückbringen - ohne Medikamente und in kürzester Zeit!
Kurz: Körperorientierte Methoden, die die natürlichen biologischen Zusammenhänge berücksichtigen, stellen die natürliche Kooperation zwischen dem „Reptilienhirn“ und dem Neokortex und damit die Fähigkeit wieder her, traumatische Erfahrungen organisch zu verarbeiten und mit Stress – den man im Alltag nun Mal nicht immer vermeiden kann, ebenso wie mit Ängsten oder Panikattacken auf natürliche und sehr unmittelbare Art umzugehen - ohne unangenehme Nebenwirkungen.
Dies erspart dir nicht das Hinsehen und Dich-Bekanntmachen mit den Traumata bzw. ihren Auslösern, denn du kannst nur wirklich loslassen, was du bereits kennst, aber es versetzt dich in die Lage, dies selbständig und ohne Hilfe von Außen aus einer Präsenz zu tun, die in bedrohlichen oder stressigen Situationen sehr hilfreich ist.
Denn das ist, was ein Trauma für den Körper und die Psyche ist: Stress.
(aus: „Das innere Kind und die Stille“ von Gabriele Rudolph, mehr dazu hier)
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Mehr zum Thema “Umgang mit Angst” findest du in einem Text über ein Fallbeispiel hier.
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