Die hilflosen Helfer, oder:

Mein Job ist es, in einem guten Zustand zu sein

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Menschen mit Helfersyndrom sind in unserer traumatisierten Gesellschaft gerne gesehen. Sie werden als großzügig, entgegenkommend und wohlwollend wahrgenommen, sind schnell zur Stelle, wenn man Hilfe braucht und sagen selten „Nein“. Insofern geht man natürlich gerne zu ihnen wenn Not am Mann oder an der Frau ist. Da die meisten Menschen enorm hungrig sind nach Zuwendung, Versorgtsein und Unterstützung, ist scheinbarer Mangel die Norm und Helfer sind sehr gefragt.
 

Die Krux an der Geschichte ist, dass Zuwendung von Außen ein Problem, das „innen“ entstanden ist, nicht oder nicht endgültig lösen kann. Ein Helfer kann also nur dann wirklich helfen, wenn der Hilfesuchende, Klient oder Partner auch dazu bereit ist, ein hohes Maß an Selbstliebe, -fürsorge, -reflexion und Eigenverantwortung für sein Wohlergehen aufzubringen und nicht mehr Verantwortung und Handlungsmacht als nötig an den Helfer abzugeben.


Ein echter Helfer hilft dir also vor allem dir selbst zu helfen, teilt dir klar mit, was er dafür braucht bzw. möchte und macht dich nicht von sich abhängig. Und das kann er wiederum nur tun und vermitteln, wenn er bereits selbst gut für sich sorgen, sich abgrenzen, für sich alleine stehen, einfach nur er/sie selbst sein kann und keine verborgenen Interessen verfolgt.

Warum betone ich das so?

Weil viele der sogenannten „Helfer“ und „Retter“ große Probleme haben, sich selbst zu helfen, das heißt ihre eigenen Bedürfnisse wahr und für voll zu nehmen und zu ihnen zu stehen bzw. sich zu geben, was sie brauchen. Stattdessen geben sie vor, stark, großzügig und hilfreich zu sein, um sich nicht hilflos, schuldig oder alleine zu fühlen respektive um endlich die Liebe und Zuwendung zu erhalten, die sie als Kind so sehr vermisst haben.

Sie erkennen sich gewissermaßen in der Verletzbarkeit, Hilflosigkeit und Bedürftigkeit anderer Menschen wieder und helfen, weil ihnen nicht geholfen wurde, geben, weil sie nichts bekommen haben, tun also, was sie sich von ihren Eltern gewünscht hätten - vermeiden dabei aber unbewusst ihre eigene Bedürftigkeit.

Sie helfen anderen - nicht sich selbst.

Das heißt, genau wie der Täter vermeiden sie mit dieser Rolle ihr ursprüngliches Opfersein – indem sie sich aufopfern und überfordern – manchmal bis hin zur Selbstaufgabe. Und genau wie das falsche Opfer suchen sie mit dieser Überlebensstrategie auf manipulative Art und Weise Aufmerksamkeit.

Aber weshalb?

Nun die so genannten „ hilflosen Helfer“ (Wolfgang Schmidbauer) haben als Kind die Erfahrung gemacht, dass ihre nächsten Bezugspersonen nicht in der Weise verfügbar waren, wie sie es für ihr Wohlergehen gebraucht hätten. Sie spürten die Bedürftigkeit und traumatischen Gefühle ihrer Eltern bzw. erfuhren schon früh, dass sie emotional, mental oder körperlich in Not geraten, wenn sie nicht wenigstens eine Art Notversorgung für sich gewährleisten können.

Dies tun sie, indem sie erfühlen und erraten, was die Eltern brauchen, fürsorglich und entgegenkommend sind, um nicht verlassen oder bedroht zu werden. Um also ihr dysfunktionales Gegenüber einigermaßen funktional zu halten, auf sich aufmerksam zu machen oder Gefahr für Leib und Leben abzuwenden, begannen sie ihre Eltern - so weit möglich - aufzupäppeln oder zu regulieren - auf Kosten eigener Ressourcen und Bedürfnisse - und bekamen dafür wenigstens ein Mindestmaß an emotionaler, körperlicher und mentaler Zuwendung, Lob und Anerkennung.

Allerdings galt das Lob dem, was sie taten, nicht Dem, was und wie sie wirklich waren. Das ließ sie aber nur umso eifriger und findiger helfen. Und so lernten sie, sich mehr und mehr die Rolle des Retters zuzulegen und entfernten sich von Dem, was sie wirklich sind und brauchen – bis sie es teilweise oder ganz vergaßen.

Und natürlich waren sie schon als Kind total überfordert damit.

Denn ein Kind braucht die Eltern, um versorgt zu werden, nicht umgekehrt, lernt aber in einer dysfunktionalen, traumatisierten Umwelt, dass es genügsam und aufopfernd sein muss, ja, manchmal sogar am besten gar nicht da sein soll, geschweige denn Bedürfnisse haben darf – einfach um zu überleben.

Aber vor allem lernt es zu helfen, um etwas zu bekommen und glaubt mehr und mehr, dass es geben muss, um in Kontakt mit anderen Menschen, ja, mit sich selbst zu kommen und seine Bedürfnisse wenigstens ansatzweise befriedigen zu können.
Aber das funktioniert natürlich nicht wirklich, da man dabei hungrig bleibt, etwas vorspielt, was man gar nicht ist und damit sich selbst und damit echte Intimität vermeidet.

Was meine ich mit letzterem?

Echte Intimität entsteht, wenn man sich selbst wahrnimmt, fühlt, was man fühlt, seine Gefühle und Bedürfnisse offen und direkt mitteilt, nicht wenn man sie mithilfe einer Überlebensstrategie abwehrt oder so umständlich mitteilt, dass das Gegenüber mehr verwirrt ist als informiert.

Echte Begegnung und Vertrautheit entstehen also dadurch, dass man sich zeigt – echt, authentisch, schwach, bedürftig ebenso wie wütend oder eifersüchtig – ohne Abwehrhaltung oder Überlebensstrategie und damit das Gegenüber einlädt, dasselbe zu tun. Denn wenn wir uns so wahrnehmen und zeigen wie wir wirklich sind, uns wirklich auf uns selbst einlassen, uns respektieren und lieben, schenken wir uns wertvolle Aufmerksamkeit.

Nur diese Art von Aufmerksamkeit macht uns wirklich satt und zufrieden.

Es ist wie wenn du dich ständig mit Zuwendung, Verständnis und Selbstliebe überhäufst. Wenn wir hingegen etwas geben, um heimlich etwas zu bekommen - wobei meistens nicht einmal gesichert ist, dass wir es bekommen - geben wir vor etwas zu sein, was wir gar nicht sind und machen aus jeder Begegnung ein unausgesprochenes Geschäft.

Wir zeigen uns nicht wahrhaftig. Wir verstecken uns hinter einer Maske der Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft - obwohl wir eigentlich etwas wollen. Wir täuschen uns selbst und unser Gegenüber und vermeiden so echte, wahrhaftige, intime Begegnung.
Als ich in jungen Jahren begriff, was ich da tue, erkannte ich erstmals, wie anstrengend, frustrierend, erschöpfend und wenig effektiv das ist. Es war nicht nur nicht möglich, meine Bedürfnisse damit zu befriedigen, ich verausgabte mich vollständig, da ich mich immer und immer wieder verließ.

Und so blieb ich, ja wurde ich immer noch hungriger.

Zudem sprach ich damit meinem Gegenüber die Fähigkeit ab, selbst für sich zu sorgen beziehungsweise den Preis selbst zu bezahlen, den die Erfüllung seiner Bedürfnisse kostet. Denn ich half häufig auch dann, wenn ich gar nicht darum gebeten wurde und wertete damit andere in ihrer Fähigkeit, selbständig zu denken, zu handeln und für sich Verantwortung zu übernehmen, ab. Ich machte sie gewissermaßen immer mehr von mir abhängig, um ihre Anerkennung, Aufmerksamkeit und Beachtung zu bekommen, um hilfreich, stark und gut zu erscheinen.

Ich behandelte sie also mehr wie Kinder denn wie ein Gegenüber auf Augenhöhe, schwächte sie anstatt ihnen wirklich zu helfen.
Denn manchmal ist die beste Hilfe Nichthilfe.

Ein gesunder, verantwortungsvoller Mensch gibt sich deshalb nicht der Arroganz hin zu wissen, was sein Gegenüber braucht. Er hilft nur, wenn er darum gebeten wird oder wenn er glasklar sieht, dass das Gegenüber auch wirklich Hilfe braucht und sich nicht selbst helfen kann („echtes Opfer“).

Oder er fragt vorher nach, ob respektive was benötigt wird und spürt dann nach, ob es auch für ihn oder sie stimmt, Hilfe in der erbetenen Form zu gewähren. All das vermeidet Missverständnisse, fördert die eigene Selbstwahrnehmung, -reflexion und -verantwortung ebenso wie die des Gegenübers und kreiert echtes Verständnis, Klarheit und Intimität.

Helfen ohne die Bitte um Hilfe bzw. in einer ungebetenen Form hingegen fördert Hilflosigkeit und Unreife (falsches Opfer).
Häufig helfen Helfer auch, um sich nicht schuldig zu fühlen oder nicht verlassen zu werden. Denn wir lernen von klein auf, dass wir keine eigenen Bedürfnisse haben und nicht auf uns selbst achten dürfen. Vielmehr sollen wir die Bedürfnisse anderer über unsere eigenen stellen. So fühlen wir uns verpflichtet, anderen zu helfen, das heißt, wir tun es nicht, weil es uns gut tut und Freude bereitet, sondern weil wir glauben, dass wir es tun müssen, um nicht verlassen, beschimpft, bestraft oder misshandelt zu werden – und brennen dabei mehr und mehr aus.

Ein falscher Helfer tut also Dinge, die er gar nicht tun will. Oft tut er etwas ohne jegliche Gegenleistung sogar für Menschen, die ihm gar nichts bedeuten, von denen er gar nichts möchte, ja, die ihn sogar misshandeln, und merkt erst später, dass er sich damit nicht wohl fühlt, sich übervorteilt, verausgabt, erschöpft oder total ausbrennt, wodurch er – oft unbewusst – immer ärgerlicher wird.
Auch meint er gerne besser zu wissen, was andere brauchen als diese selbst und neigt zu unerbetenen Ratschlägen. Aber vor allem fällt es ihm enorm schwer, mit sich selbst zu sein, und um das zu bitten, was er von anderen braucht.

Und so manipuliert er.

Ein hilfloser Helfer hat sehr feine Antennen für seine Umwelt, erspürt ihre Wünsche und neigt dazu, mehr nach ihnen zu sehen und auf sie zu reagieren als auf seine eigenen Bedürfnisse.

Ja, er ignoriert seine eigenen Wünsche richtiggehend. Und so kommt er immer zu kurz.

Deshalb beginnt er dann irgendwann, sich über den Egoismus seiner Mitmenschen zu beklagen, denen er vorher geholfen hat oder fordert beharrlich Bewunderung und Zuwendung für seine ach so tollen Taten ein.

Und wenn sie nicht kommt, wird er wütend (Täterrolle).

Auch Selbstvorwürfe und Schuldgefühle kennt der Helfer gut, da er dem Größenwahn unterliegt, dass seine Hilfe unbedingt von allen möglichen Menschen, Tieren und Pflanzen benötigt wird und dass die Welt ohne ihn zusammenbricht.

Ja, er hat große Angst vor einem Zusammenbruch und steuert genau deshalb geradewegs auf seinen eigenen zu.
Die „hilflosen Helfer“ sind besonders in sozialen Berufen leicht zu finden:

Krankenschwestern, Alten- und Krankenpfleger, (Zahn- und Haus-)Ärzte, Therapeuten, Heilpraktiker, Psychologen, Sozialarbeiter, Pfarrer, Erzieher, Lehrer. Aber auch Richter und andere Justizbeamte leiden massiv unter Zeitdruck, Arbeitsüberlastung und nicht zuletzt unter einem Burnout.

Sie kommen in allen Bevölkerungsschichten vor.

Dabei gibt es wohl spezifische Persönlichkeitsmerkmale, die das Helfersyndrom bedingen und fördern: Depressive, abhängige, Borderline- bzw. emotional-instabile sowie narzisstische Züge.

Sie tendieren zudem zu symbiotischen Abhängigkeitsbeziehungen im Rahmen der Opfer-Täter-Helfer-Dynamik. Das heißt, sie ziehen - auch in Partnerschaften oder anderen Beziehungen - hilfsbedürftige Opfer und fordernde Täter und damit Stress, Misshandlung, Mobbing, Beziehungsdramen und Ausbeutung geradezu magisch an, unter anderem auch, weil ihnen ungemein an ihrem Image als großzügiger, immer bereiter Helfer liegt und Täter wie Opfer sich deshalb sehr zu ihnen hingezogen fühlen.
Helfer beziehen gewissermaßen ihren Selbstwert aus der Bedeutung, die sie für andere haben. Ohne die bedürftigen Opfer und Täter sind sie in ihren Augen inexistent, nichts und niemand und versuchen das mit allen Mitteln zu vermeiden, wodurch sie in gewisser Weise ihr eigenes Opfersein immer wieder re-inszenieren.

Man könnte auch sagen, Helfen und Gebrauchtwerden werden hier zur Sucht (siehe hierzu auch mein E-Book “Das innere Kind und die Stille”).

Denn Helfer sind gewöhnlich hoch angesehen und legen auch großen Wert auf dieses Image. Und das hat natürlich seinen Preis: Es wird von ihnen selbstverständlich erwartet, ja, eingefordert, dass sie selbstlos, empathisch, zugewandt sind und funktionieren – idealerweise Tag und Nacht.

Ein Helfer, der „Nein“ sagt – das geht gar nicht!

Nur: Kein Mensch kann immer nur geben, funktionieren oder für andere da sein.

In anderen Worten: Auch und gerade Helfer haben Bedürfnisse, die erfüllt und Probleme, die gelöst werden müssen. Laut einem Artikel von Felix Zeltner im Magazin Spiegel, haben gerade die „Retter“ mit dem höchsten Ansehen die größten psychischen Probleme: „Fast jeder dritte Klinikarzt leidet Studien zufolge unter einem Burnout. Bei den Hausärzten ist es jeder fünfte.“ Alkohol- und Drogenprobleme sind unter Ärzten ebenfalls enorm verbreitet und die Selbstmordrate ist „etwa doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung“.

Und häufig leiden nicht nur sie selbst darunter sondern auch ihre Beziehungen, da ein Mensch, der sich selbst ausbeutet, natürlich auch seine Familie und Partner vernachlässigt sowie von ihnen dasselbe erwartet, was er sich selbst antut.

Häufig macht er aber auch seine Eltern, Kinder, Partner und Freunde zu Hilfsprojekten, die ihn überfordern und ausbrennen nach dem Motto "Bloß nicht zur Ruhe kommen, bloß nicht still sein, sich spüren, wahrnehmen, was man selbst braucht. Bloß nicht alleine sein, geschweige denn sich hilflos fühlen!" - abgesehen davon, dass die dahinter stehende Rastlosigkeit und der Mangel an Selbst- und Fremdreflexion nicht selten die Gründlichkeit verhindert, die notwendig ist, um einen guten Job zu machen.

Ist es nicht erstaunlich, dass wir gewöhnlich von Menschen gesundheitlich und psychisch versorgt werden, die unfähig sind, gut für sich selbst und damit für andere zu sorgen, die ihre Traumata nicht kennen geschweige denn aufgearbeitet haben, sich nicht fühlen, vollkommen unbewusst sind und dadurch – mit Sicherheit – ihre Traumata ebenso wie ihre destruktiven Überlebensstrategien an die Schutzbefohlenen weiterreichen, denen sie eigentlich hilfreich und unterstützend zur Seite stehen sollten (Täterrolle)?

Und dass sich die Schutzbefohlenen wiederum gänzlich auf die hilflosen Helfer verlassen und tendenziell eher zu viel Verantwortung an sie abgeben (Opferrolle)?

Ist es nicht weitaus sinnvoller,

* darauf zu achten, zu einem Helfer zu gehen, der weiß, was er tut und bereits lebt, was er vermittelt, das heißt auch von Helfern zu erwarten, dass sie ihre Traumata, deren Wirkungsweise sowie ihre Überlebensstrategien und Trigger gut kennen, wach, klar und bewusst sind, sich fühlen, wahrnehmen, sich genügend Ruhe gönnen und auf eine gesunde Affektregulation achten, um nicht die Menschen zu schädigen, die ihnen anvertraut werden?

* Und, vor allem, das Wissen um Traumata, ihre Wirkung und den Teufelskreis, den sie erzeugen, um echte, konstruktive, nachhaltige, nicht illusionäre Hilfe sowie um die gesunden Helfer, die zur Verfügung stehen, noch viel mehr zu verbreiten?
* Und immer mehr professionelle, gesunde Helfer und Begleiter auszubilden, die echte, konstruktive Hilfe leisten - aus dem Bewusstsein heraus, was bzw. wer sie wirklich sind - anstatt ihre Traumata an andere weiterzugeben und damit den traumatischen Kreislauf am Leben zu erhalten?

Das ist Ziel meiner Arbeit.

Aber wie kommt man denn nun aus dieser gut einstudierten und von klein auf trainierten Rolle wieder heraus – eine Frage, die ich mir als professionelle Helferin immer wieder stellen musste?

Das ist nämlich, meiner Erfahrung gemäß, gar nicht ohne. Das ist „mit“ und ein wesentlicher Teil meiner Arbeit v. a. der Begleiter-Ausbildung in Freier Trauma-, Innerer-Kind- und Körperarbeit. Denn nur ein freier, wacher, seiner Traumata, Stärken und Schwächen bewusster und damit klarer Begleiter ist ein guter Begleiter.

Zuallererst darf ein Helfer lernen, nach sich selbst zu sehen, was ihm gewöhnlich erst einmal extrem schwerfällt, da er nicht gerne als Egoist dasteht, keinerlei Schwäche zeigen möchte und seine ebenfalls traumatisierte und co-abhängige Umgebung häufig selbstverständlich voraussetzt, dass er sich ausbeutet, ja, beleidigt oder aggressiv reagiert, wenn er es nicht tut.

Sich einzugestehen, dass man selbst Bedürfnisse hat, kratzt zudem schwer an einem aufgeblasenen, narzisstischen Selbstbild. Und, vor allem, stößt er dabei auf sein eigenes Opfersein und die Gefühle, die er mit der Überlebensstrategie des Helfers vermieden hat: Hilflosigkeit, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle, Wut sowie die panische Angst vor Prestigeverlust und dem Verlassenwerden.

Das ist also ein prekärer Moment, da die Neigung, diese Gefühle schnellstmöglich wieder abzuwehren, indem er sie oder die Schuld an seinen Problemen auf andere projiziert, ebenso groß ist wie seine Vermeidungsstrategien vielfältig sind. Da geht man doch lieber schnell mal in die Rolle des Opfers oder Täters und beginnt ein neues Überlebensspiel – insofern er Menschen findet, die auf diese Einladung entsprechend reagieren.

Und die sind nicht schwer zu finden.

Es ist also große Wachsamkeit und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und oft auch professionelle, kompetente Hilfe gefragt, um nicht vom hilflosen Helfer in eine neue, falsche Identität überzuwechseln – und noch mehr Schaden anzurichten.

Es ist hingegen ungemein heilsam, all diese Gefühle liebevoll wahrzunehmen, sie zu fühlen, mit ihnen zu atmen, ja in sie hineinzufallen – anstatt sie wieder abzuwehren. Sie laden uns ein, das verletzte, traumatisierte innere Kind in uns zärtlich und wohlwollend zu entdecken, es willkommen zu heißen, seine Zart- und Verletzlichkeit sowie Bedürfnisse anzuerkennen anstatt sie – wie bisher – zu unterdrücken.

Und zu lernen, sich im beruflichen wie privaten Alltag genügend Zeit, Raum, Rückzug und Zuwendung für sich selbst einzuräumen. Ich werde deshalb nicht müde, die Teilnehmer in meiner Begleiter-Ausbildung immer wieder darauf hinzuweisen: „Mein Job als Heilpraktikerin in Psychotherapie ist es, in einem guten Zustand zu sein.“

Kontinuierliche Selbstfürsorge, Psychohygiene und Ehrlichkeit sind meiner langjährigen Erfahrung gemäß mit die wesentlichsten Voraussetzungen für diese Tätigkeit. Wie sonst soll ich anderen helfen, hinzusehen, aufzuräumen, ehrlich mit sich selbst zu sein, in einen guten Zustand zu kommen und dort zu bleiben?

Wenn ich an dieser Stelle zu Abkürzungen greife, unterstütze ich mich wie meine Klienten in genau den Illusionen und Wirklichkeitsverzerrungen, die zu ihren Problemen führten und für die sie eine Lösung suchen. Ich tue also das Gegenteil von dem, wofür ich bezahlt werde und meine Klienten Geld, Zeit und Vertrauen investieren!

Wichtig ist natürlich auch, deine Traumata, ihre Wirkung und die Trigger kennenzulernen sowie dir deiner Überlebensstrategien in allen Details bewusst zu werden. Das heißt, konkret, wahrzunehmen, wie du auf Opfer- und Täterhaltungen reagierst und zu lernen, der drängenden Neigung, sich in ein neues Opfer-Helfer-Täter-Spiel zu stürzen, nicht sofort zu folgen sondern bei dir, still, zuhause zu bleiben, zu agieren anstatt zu reagieren.

Kurz: Übernimm keine Verantwortung, die nicht deine ist und keine Aufgabe, die dir keine Freude bereitet.

Vielmehr finde heraus, was dir gut tut, was dich und dein Nervensystem stärkt, dir Freude bereitet, dich wirklich frei und glücklich sein lässt und gib all dem einen festen Raum in deinem Alltag – ohne dich erneut zu stressen oder unter Druck zu setzen.
Meiner Erfahrung gemäß ist das eine sehr erfüllende, aber anfangs nicht ganz einfache Aufgabe, weil man, wenn man damit beginnt, nicht nur in sich selbst, sondern auch in der Umgebung erst einmal Widerstand auslöst.

Häufig stoßen wir dabei auch auf das Gefühl nicht zu genügen. Das ist gut so. Lass es aufsteigen und gestehe dir zu, nicht genügen zu müssen. Erlaube dir, dass es dir gut gehen darf, auch wenn es anderen gerade schlecht(er) zu gehen scheint.

Lass es auch zu, dich schuldig zu fühlen. Warum nicht (scheinbar) schuldig sein?

Denn was geschieht wenn wir diese Gefühle fühlen anstatt sie abzuwehren? Ebenso das Gefühl des Hungers, des Mangels, der Einsamkeit und des Verlassenseins oder der Angst vor dem Verlassenwerden oder vor Strafe. Was geschieht, wenn wir zulassen, dass wir von Natur aus alleine, alles in Einem sind – jetzt in diesem Augenblick – während du diese Zeilen hier liest? Wenn wir den Hunger fühlen ohne ihn wegzumachen, zulassen, dass wir uns gerade schwach, zart und hilflos fühlen?

Und, vor allem, wenn wir ent-decken, dass all das „nur“ in uns erscheint, wir es aber nicht sind? Ja, dass Das, was du wirklich bist, zutiefst sicher und geborgen ist - jederzeit und überall.

Das Resultat ist höchst erstaunlich. Denn erst dann bist du wirklich frei, zu helfen, ohne indirekt Bedingungen zu stellen. Und erst dann erfährst du, dass du geliebt bist, so wie du bist - bedingungslos - einfach weil du dich nicht wieder und wieder verkaufst für ein paar Brosamen an Zuwendung und Liebe.

Ich staunte auch immer wieder wenn ich es wagte, zu dem zu stehen, was ich brauche - selbst wenn mein Arbeitgeber, Partner, meine Freunde, Verwandten und Klienten nicht immer glücklich darüber waren, ja, teilweise heftigst darauf reagierten, weil ich nicht so funktionierte, wie sie es von mir erwarteten - dass mein Leben dadurch immer besser wurde.

Ich finde es auch - bis heute - sehr befreiend, ein Bedürfnis ohne Umschweife oder vorher erbrachte, womöglich noch unerbetene Gegenleistung zu äußern. Sich gewissermaßen einfach so zu zeigen, wie ich bin, mich dabei weder aufzublasen noch kleiner zu machen. Du kannst dabei erforschen, was es in dir und anderen auslöst, wenn du um etwas bittest, ohne etwas dafür anzubieten und auch ohne zu erwarten, dass deine Bitte erfüllt wird (!). Denn natürlich hat auch dein Gegenüber das Recht, nachzuspüren, ob er/sie dir deine Bitte erfüllen möchte oder/und mitzuteilen, was es von seiner/ihrer Seite braucht, um sie dir zu erfüllen.

Und es ist elementar, Menschen zu suchen, die dich darin liebevoll - nicht von oben herab - unterstützen, Menschen, die auch gut auf sich achten und bereits verkörpern, was du sein und leben möchtest.

Sonst ist die Wahrscheinlichkeit groß, wieder zurück zu fallen.

Überhaupt ist für einen Helfer die Unterstützung und Fürsorge anderer wichtig. Er holt damit etwas nach, woran ihm in seiner Kindheit schmerzhaft mangelte.

Selbstfürsorge ist für den Helfer deshalb oft erst einmal ungewohnt, aber sehr heilsam. Die Kraft und Aufmerksamkeit, die er mit den Jahren an andere abgegeben hat, kehrt zu ihm zurück. Er schrumpft auf Augenhöhe, wird ehrlicher, freier, stabiler, ruht mehr in sich, wird gesünder, gelassener, voller Lebensfreude und ist damit ein Segen für sich und seine Umgebung.

Und: er lädt damit die Menschen um ihn, seine Vorgesetzten, Bekannten, Freunde, Partner, Klienten und SeminarteilnehmerInnen als lebendiges, nachprüfbares, authentisches Beispiel ein, sich ebenfalls neu wahrzunehmen, zu reflektieren und zu positionieren.
Er trägt also ungemein zu einer gesunden, friedvollen, glücklichen und freieren Gesellschaft bei.

Nach meinen Beobachtungen wird diese dringend gebraucht.

Viel Erfolg damit!

(aus: (Un)Endlich frei! - Traumata als Tor zur Freiheit von Gabriele Rudolph)

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